BEATE RONACHER | Kubus

exhibition text and opening speech for Beate Ronacher on the occassion of the project SIMULTAN. Zeitgenössische Kunstproduktion in Salzburgs Regionalmuseen

Pongauer Heimatmuseum, Schloss Goldegg | October 1, 2022 – March 31, 2023

Im Pongauer Heimatmuseum findet sich in der Sammlung der Werkzeuge ein spezielles Objekt, dessen Geschichte bei einer Führung Beate Ronachers Interesse weckte: eine Eissäge. Eissägen wurden vor der Erfindung mechanischer Kühlschränke verwendet und dienten dazu, quaderförmige Eisblöcke aus gefrorenen Seen und Gewässern zu schneiden. Einzelne Eisblöcke wurden in den Kellern von Wohnräumen und Gaststätten auf Stroh gebettet und hielten die Räume für unterschiedliche Funktionen über lange Zeiträume kühl. Diese Form der Konservierung und Klimatisierung war bereits in Abwandlungen im alten China, im Perserreich sowie im antiken Ägypten, Griechenland und Rom bekannt. Industrialisiert wurde die Praxis der Eisernte und des damit verbundenen Handels mit Eis jedoch erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Mehrere tausend Tonnen transparenten Goldes wurden jedes Jahr über den ganzen Globus transportiert – ausgehend vom amerikanischen Kontinent, wo die kürzeren Strecken von Kanada bis auf die Karibischen Inseln reichten, die längsten Routen sogar bis nach Peru, Sydney, Hongkong und auf die Philippinen führten. Der technologische Fortschritt der Zeit machte diesen Logistikunternehmungen ein Ende, denn spätestens in den 1950er Jahren hatten sich auch in Europa lokale Kühlgeräte durchgesetzt. Das Goldegg von damals, dessen Bewohner:innen darauf angewiesen waren den heißen Sommermonate bereits lange im Voraus mit Eisblöcken aus dem eigenen See entgegen zu wirken, ist passé. Heute erinnert die mannshohe Eissäge als Artefakt dieser Zeit im Stillen an ihre vorindustrielle Notwendigkeit zurück, eröffnet jedoch durch die Aktivierung innerhalb einer künstlerischen Intervention diverse Fragen an die Gegenwart.

Beate Ronacher setzt sich in ihrer künstlerischen Arbeit häufig mit der Verschiebung von Bedeutungsebenen anhand von alltäglichen Gegenständen und Materialien auseinander. Für diese Ausstellung knüpft sie an den Verwendungszweck der Eissäge an und entwickelt ihre eigene Arbeit anhand der ästhetischen Qualität der Lagerung der Eisblöcke. Dafür wählt sie einen vorgeprägten Ort: eine säkularisierte Kapelle, die dem Heimatmuseum in den vergangenen Jahren als Depot und zeitweilig als Ausstellungsraum diente. Der Raum ist klein, charakterisiert wird er durch zwei gotische, kielbogige Fenster und einen alten Sakristeikasten, der nun anstelle von liturgischen Gewändern und Paramenten Tischdecken und andere profane Textilien enthält. Ein unter dem Anstrich verborgenes Fresko unterlegt den Raum in seiner Unsichtbarkeit mit einer subtilen Stimmung. In diesen ursprünglich christlich besetzten Kontext bettet die Künstlerin einen titelgebenden opaken Kubus auf Stroh, der in seiner Form, Dimension und Ausrichtung einige Besonderheiten aufweist. Der Kubus besteht aus weiß lackiertem Acrylglas und kommt durch die lasierende Bemalung der Oberfläche tiefen Eisschichten in seiner Wirkung nahe. Dieser formale Aspekt nimmt zunächst Bezug auf die Ausstellungsvitrinen, die kleineren Sammlungsobjekten für gewöhnlich einen schützenden Rahmen anbieten. Darüber hinaus referenzieren Beschaffenheit und Inhalt auf die zahlreichen Vorgänger:innen in der Kunstgeschichte, beispielsweise auf Hans Haackes Kondensationswürfel (1963-65) bis hin zu Olafur Eliassons Ice Watch (2014).

Der opake Block nimmt bei Beate Ronacher jedoch eine andere Funktion ein. Er ist nicht Mahnmal mit ökologischen Vorzeichen, auch wenn die Thematik von akuter zeitgenössischer Relevanz ist und unsere Assoziationen dorthin gehen mögen. Die Künstlerin definiert die Proportionen ihres Kubus mit derselben Subtilität, die das verborgene Fresko des kleinen Kapellenraumes aufweist: Die Dimensionen entsprechend dem wohl berühmtesten würfelförmigen Bau der Welt, der Kaaba in Mekka. Als spiritueller Kraftort und zentrale Architektur innerhalb der Heiligen Moschee, misst die Kaaba, was zu Deutsch Kubus oder Würfel bedeutet, exakt 11,03 × 12,62 × 13,10 m. Beate Ronacher stellt ihr Objekt dazu in den Maßstab von 1:10. Dabei reduziert sie es auf die wesentlichen Elemente, etwa die Goldborte auf zwei Drittel der Gebäudehöhe, die hier zu einer einfachen Linienmarkierung wird. Darüber hinaus bestimmt sie die Orientierung präzise entsprechend der Himmelsrichtungen. Die östliche Ecke der Kaaba, der Punkt, der den Beginn der rituellen Umrundung durch die Walfahrenden markiert, trägt auf 1,50 m Höhe den sogenannten Schwarzen Stein. Die Künstlerin verzichtet auf dieses demarkierende Element, doch entsteht durch die Positionierung ihrer Ecken des Kubus ein glücklicher Zufall – er wirkt in seiner Ostung beinahe perfekt gerade, parallel zu den Wänden des Raumes ausgerichtet. Seine Umrundung durch die Betrachter:innen lässt die religiöse Ebene der zirkulären Bewegung, der Prozession um ein Heiligtum – das im islamischen wie im christlichen Glauben Teil der Liturgien ist – mit der profanen Dimension regionaler Kulturgeschichte verschmelzen.

Dem Umschreiten wird eine zusätzliche haptische Qualität verliehen, erfahrbar als raumfüllende Auskleidung mit Stroh, das hier nicht nur simpel auf die dämmende Unterlage der Eisblöcke verweist. In seiner kulturhistorischen Bedeutung als vielfältig nutzbarer Rohstoff ist Stroh mit Vorstellungen von Ländlichkeit und Handarbeit, Landwirtschaft und Brennmaterial verbunden. Indem sie es in einer minimalistischen Geste mit dem Kubus zusammenführt, gelingt es Beate Ronacher den privaten mit dem öffentlichen Raum miteinander in Beziehung zu setzen. Der einstige Kühlkeller, mit dem auf Stroh gebetteten Eis, wird seiner Funktionalität enthoben und rein ästhetisch rekonstruiert. Anstelle des häuslichen Umfeldes werden wir ihm innerhalb des Museums gewahr, einem Abschnitt des Museums aber, der mit religiösen Inhalten geladen ist und deren nuancierte Wandelbarkeit uns die Künstlerin vorführt. Schließlich sind es Fragen nach der Relevanz von Kontextverschiebungen, gerade in Anbetracht kultureller Aneignung, als auch das reziproke Verhältnis von Transzendenz und Körperlichkeit, die durch eine performative Aktivierung hier neu verhandelt werden.