KEIMZELLE | periscope:project:space

Museumspavillon der Stadt, Mirabellgarten, Salzburg | May 9, 2018

Das periscope ist ein ganz besonderer Ort. Ich sage – bewusst neutral – Ort, da sich das periscope vielen Kategorisierungen entzieht. Es ist ein Projektraum, eine Initiative, ein physischer Raum in der Sterneckstraße, ein Gedankenraum, ein Team bestehend aus Elisabeth Schmirl, Stefan Heizinger, Bernhard Lochmann, Karin Peyker und Assoziierten, ein artist-run-space, eine Galerie, ein Verein für Kunst, eine Plattform für Diskurs – und zwar alles davon. Das konkrete Finden eines Terminus und eine fixe Definition würden jedoch der Agenda des periscope entgegen laufen. Was es nie sein wollte und auch bis heute nicht ist, ist eine Institution im Sinne eines etablierten – ja ich möchte schon fast sagen – Kunstunternehmens. Mit starren Strukturen, lächerlich genau konstruierten Hierarchien und langen Umsetzungsperioden hat das periscope nichts zu tun. Aus erster Hand kann ich berichten, wie es ist Teil des Teams zu sein: 2012 und 2013 war ich als Praktikantin in die inhaltlichen und administrativen Strukturen involviert (seither führte mich mein Beruf weg aus Salzburg, assoziiert bleibe ich dennoch nach wie vor und sehr gerne mit dem periscope).

Die Herangehensweise an die Ausstellungspraxis ist durchwegs demokratisch: die jährliche Ausschreibung ist international, die Bewerbung ohne Restriktionen möglich. Lediglich eine thematische Übereinstimmung mit dem Jahresthema wird verlangt. Die Einreichungen werden in einer Mitgliederversammlung sortiert – das periscope ist ein eingetragener Verein und folgt festgelegten Statuten – und KünstlerInnen für Einzel-, Duo- oder Gruppenausstellungen ausgewählt. Diese werden kontaktiert und ihre Beiträge zeitnah im Detail besprochen. Das ganze Auswahlverfahren geschieht in der Regel mit ca. einem halben Jahr Vorlaufzeit, damit auch genügend Zeit bleibt ein Diskursprogramm zu planen und alle Unterlagen für eine Förderbewilligung zusammenzutragen. Immerhin ist alle Arbeit vergeben ohne die Subventionen, die sie ermöglichen.

Das ist doch langweilig oder das weiß ich doch schon längst, werden Sie sich denken. Ich halte dagegen: es ist entscheidend ob die Grundstruktur stimmt und dass diese „langweilige“, bürokratische Dimension Bestand hat. Denn hier, heute und für die nächsten sechs Wochen geht es um nichts Geringeres als Produktionsbedingungen von Kunst. Das periscope tritt aus seinen eigenen vier Wänden heraus und begibt sich in einen Außenraum, in einen Satellit, in eine Introspektive aber gleichzeitig eine Rezension.

Warum ist das wichtig? Ich will es mit einer Metapher probieren. 1972 wurde von der Besatzung der Apollo 17, aus 45.000 km Höhe, eine Fotografie aufgenommen: Blue Marble, der blaue Planet, das wichtigste im Mainstream verankerte Bild der Erde von Oben. Die Perspektive dieses Bild hat die gesellschaftliche Wahrnehmung auf unsere Umwelt verändert und prägt sie bis heute. Die Möglichkeit einen Schritt zurückzutreten und ein Objekt, einen Raum, ein Anliegen, eine Idee von außen zu betrachten ist integraler Bestandteil von Entwicklungsprozessen. Somit ist es nach über einer Dekade sinnfällig, sich selbst einer Revision zu unterziehen.
Die titelgebende Keimzelle ist eine sehr spezielle Rück- und Umschau: 19 Positionen von KünstlerInnen aus dem periscope-nahen Umfeld werden gezeigt. Sie prägen die kulturelle Landschaft der Stadt Salzburg wesentlich mit. Die Ausstellung fragt nach dem Potential dieser Veränderung, nach der Manifestation von Ideen und Impulsen, nach Möglichkeiten diese umzusetzen und nach dem Produktionsort an sich, dem Atelier oder Studio. All das ist in den Ausstellungsraum transportiert worden. Dennoch ist es eine subtile Transformation: Die jeweiligen Studios wurden nicht etwa 1:1 nachgebaut, der Ausstellungsraum wird nicht zur DIY Werkstätte für BesucherInnen und auch hat man nicht das Gefühl einen klassischen Atelierbesuch zu absolvieren. Das Vogelhaus ist Bildträger für ein fragmentiertes Atelier, das als solches apolitisch ist, jedoch unterschiedliche Denk- und Arbeitsweisen offenlegt. Die nachvollziehbaren Prozesse und Abläufe tragen somit zu einer Entmystifizierung von Kunst bei.

Die 19 eingeladenen KünstlerInnen bilden ein loses Netzwerk Affiliierter, deren Beiträge aus den individuellen Praxen stammen, sich jedoch inhaltlich aneinander annähern. Für die BetrachterInnen mag es auf den ersten Blick nicht immer ersichtlich sein wo ein Beitrag anfängt und aufhört: die Ausstellung ist im ersten visuellen Eindruck als buntes Geflecht vieler Materialien, Objekte und Oberflächen fassbar. Um nicht einfach alle Beiträge Raum für Raum oder gar starr alphabetisch durchzugehen, habe ich für mich eine systematische Ordnung gefunden, mit der auch Sie hoffentlich einen vielschichtigen Einblick gewinnen.

Ich definierte nun fünf grob gefasste Themenblöcke, deren Konzepte jeweils und aufeinander folgend als Narrative gelesen werden können:

Die Inspiration. Vom geistigen und sozialen Umfeld
Am Beginn steht der Impuls. Dieser kann durch unterschiedliche Methoden hervorgerufen werden. Reinhold Bidner / gold extra erproben das zielgerichtete, ziellose Flanieren in den Straßen von Paris als eine Variante. Sie nahmen die Atmosphäre der Metropole in Fotos, Videos und Tonaufnahmen wahr und transformierten sie in einen technisch vielschichtigen Animationsfilm. Ingrid Schreyer hingegen versteht die Begriffe Studio und Atelier als Beschränkung. Ihr dienen die Dokumentation von Architekturen und Lebensräumen als Ausgangspunkt für eine poetische Reflexion über ihr soziales und geistiges Umfeld. Agnes Urthaler-Jansa hingegen verarbeitet in einem Schrein für ihren verstorbenen Hund Varianten von Erinnerungskultur, Totenverehrung und der Mystik um Opfergaben in Form von Essensspenden. Der Beitrag von Herman Seidl spannt sich über die Inspiration bis zu dem gleich folgenden Kapitel des Ateliers: er präsentiert uns seinen Arbeitstisch, an dem er nach Impulsen in Büchern sucht, Skizzen ausarbeitet, Kopien fertigt und unfertige Prints bearbeitet, d.h. das Abstraktum „Inspiration“ an einem realen Ort verankert.

Objet trouvé. Vom gefundenen Material
Material spielt eine entscheidende Rolle – auffällig ist, dass sich mehrere ausstellende KünstlerInnen auf Alltagsgegenstände beziehen. Ausrangiert von der Gesellschaft, aber inkludiert von der Kunst ist darunter auch Barbara Reisingers Arbeit zu sehen: sie zeigt ein Schaffel mit Elementen von Installationen, wie sie Giorgio Morandi für seine berühmten Stillleben arrangierte. Ebenso mit den Möglichkeiten von offenen Gefäßen und Objekten spielend, erschließt Fritz Rücker mit den Gläsern und Eierkartons für die BetrachterInnen eine metaphorische wie wörtliche Reflexion. Die Dimensionen und Anschauungen der Gegenstände werden bis zur Abstraktion konterkariert und wie bei Reisinger so zu einem zitierender Verweis bzw. dem Fragment einer Basis für theoretischer Überlegungen.
Deutlicher fällt dies noch bei der Proposition von Elisabeth Junger-Rebol auf. Sie nutzt Abbildungen aus Zeitungen als Grundlage ihres Nachdenkens und zeigt ihren Prozess des Einschnittes für die Gewinnung von Material. Auf der Wand bleibt vermeintlich überschüssige Information zurück, die gleichzeitig das Kunstwerk mimt. Sein Langzeitprojekt der „Unikat-Bücher“ bringt Markus Kircher hier ins Spiel: er präsentiert eine Bucharbeit aus einer größeren Serie, deren Charakter als objet trouvé durch die starke künstlerische Bearbeitung des Inneren konterkariert wird.

Das Atelier. Vom Produktionsort
Zwischen Fetischobjekt und handwerklichem Erzeugnis, auch zwischen objet trouvé und dem Produktionsort, zeigt Saskia Nagy sogenannte Fundstücke aus ihrem Atelier. Die in jüngster Zeit angesammelten Materialien haben eine unbestimmte Verwendung, dienen jedoch als repräsentative Artefakte ihrer Arbeitssituation.
Katrin Huber teilt sich ihren privaten Atelierraum mit zwei weiteren KünstlerInnen und deckt ihre Malerei bei Verlassen des Ateliers zur Sicherheit mit Plastikfolie ab. Oft hinterlässt sie auch Notizen auf der Folie, die gewählte Kommunikationsform unter den Mitnutzern. Dieses natürliche Setting überführt sie nun in den Ausstellungsraum, der dadurch eine bühnenartige Präsenz bekommt. Eine ähnliche Inszenierung findet sich bei Erich Gruber, der seinen Zeichentisch und seine bevorzugten Utensilien preisgibt. Eine skurril anmutende Sammlung von Insekten sowie seine private Wanduhr akzentuieren den Anschein von Authentizität weiter. Angelika Wienerroither arbeitet mit dem Medium der Fotografie und führt den Besucher in eine spezifische dieser Gattung immanente Situation ein: eine kleine Dunkelkammer, ein Negativ, eine Beschränkung der Sinne auf Hören und Fühlen, ein unheimliches, erhabenes Gefühl.

Produkt / Ergebnis / Kunstwerk
Am Ende steht das Ergebnis. Die Manifestation einer so weit als möglich abgeschlossenen Idee, die auch Kunstwerk sein kann. Das Interagieren innerhalb der Ambiguität von Fertig und Unfertig steht dabei im Vordergrund. Auch Destruktion ist Teil dieses Prozesses, wie eine konstruierte Zerstörung im Beitrag von Wolfgang Richter zeigt. Genauso ist es das Abarbeiten an einem Thema: Stefan Kreiger zeigt eine fortlaufende Serie aus seiner künstlerischen Praxis, jedoch nicht wie dem White Cube angemessen sauber und akkurat nebeneinander gehängt, sondern wie im begrenzten Raum des Ateliers hintereinander gestaffelt. „Es ist, was es ist“ statuiert Bernhard Gwiggner dem gegenüber mit einer Installation, deren Wesen (Styrodur, darauf ein bekritzelter, spuckender Kopf, mit Band um die Augen und phrygischer Mütze, darunter ein Sockel mit Inschrift) die komplexe Definition des Kunstwerks seit der Antike mit einer Auswahl an Zitaten reflektiert.

Grauzonen
Zwischen den Kapiteln stehen einige Beiträge, die in mehrere der oben genannten Bereiche passen und Bezug nehmen auf wesentliche Grundlagen von „Produktion“. Wie bereits bei Herman Seidls und Erich Grubers Beiträgen angedeutet, ist auch Franz Bergmüllers Begriff von Studio die Visualisierung aller Prozesse, die zwischen Impulsen, Arbeitsplatz, Interessensfeldern, Ateliereinblicken und fertigen Arbeiten oszillieren. Peter Haas hisst ein zerrissenes, nur halb vorhandenes mexikanisches Fähnchen, das aus dem Abfallprodukt einer Arbeit eines anderen Künstlers stammt und für die Keimzelle adaptiert wurde. Er ergänzt es um einen Artikel zum Sinn und Unsinn von Fleischkonsum, befestigt an einer Rute. Die Appropriation eines Teils der Fensterfront, der dementsprechend für die Installation heraustritt, fungiert dezidiert als Markierung im Sinne einer Vereinnahmung von Raum sowie einer ideellen Besetzung. Peter Brauneis stellt in seinen Positionen Fragen nach dem grundsätzlichen Nutzen von Produktion, mit besonders kritischem Verweis auf administrativ-bürokratische Abläufe. Sein „Kreativtisch“ interagiert durch einen plastischen Verweis mit einer Leinwand, die am anderen Ende des Raumes hoch oben hängt. Nicht zuletzt setzt Thomas Bretl Leihgaben aus Galerien des Kaigassenviertels seinen eigenen Natur- und Kunstfundstücken gegenüber – eine Variation aller Themen von der Inspiration, über das objet trouvé, das Atelier und das fertige Kunstwerk.

Was bleibt zu sagen?
Erstens: Bitte machen Sie sich selbst einen Eindruck vom eben Gehörten und prüfen, wiederlegen und hinterfragen Sie gerne meine subjektiven Ansichten. Zweitens: Die Ausstellung wird von einem Diskursprogramm begleitet werden, zu dem Sie alle herzlich eingeladen sind. An drei Terminen gibt es die Möglichkeit, sich über Arbeitsbedingungen, Netzwerke und politische Mitbestimmung in der Kunst auszutauschen und zu informieren. Veranstaltungen dieser Art stehen in der mittlerweile langen Tradition des periscope, einen wesentlichen Beitrag zu den Aktivitäten in der Stadt Salzburg zu leisten. 2006 gegründet, feiern wir mit dieser Ausstellung schließlich das im zwölften Jahr bestehende periscope.