Anne Glassner, Lavinia Lanner, Hyeji Nam, Kunstverein Baden, September 7 – November 2, 2025

Beim Schlafen, Zeichnen und Musizieren, Gehen, Sitzen und Liegen, Arbeiten, Reisen und Nichtstun, in jeder Klimazone, zu jeder Tageszeit und in jedem Moment: Der Atem ist unser stiller Begleiter, Lebensspender und die erste individuelle Kontaktzone zur Welt. Die Permanenz seines rhythmischen Loops bleibt im Unbewussten verborgen, bis eine subtile oder abrupte Veränderung, aktiv vorgenommen oder passiv initiiert, seine Präsenz offenbart. Wir halten in Stille oder Andacht inne, verweilen in einer Atemübung oder erstarren vor Schock, Überraschung oder Entsetzen in Atemlosigkeit und setzen den Atem jeweils für einen Augenblick aus. Hier wird die grammatikalische und physische Unmöglichkeit des Haltens mehrerer Atemzüge zugleich evident: Der Atem ist eine untrennbare Einheit und daher nicht von einem Individuum allein multiplizier- oder teilbar. Erst im kollektiven Zusammenkommen kann mehr als ein Atemzug zur selben Zeit angehalten werden.
In der Ausstellung Holding Breaths begegnen sich die künstlerischen Zugangsweisen von Anne Glassner, Lavinia Lanner und Hyeji Nam. Den Künstlerinnen ist eine konzeptuelle und performative Praxis gemeinsam, die den unscheinbaren aber kostbaren Zwischenformen und Momenten größte Aufmerksamkeit schenkt. So erfährt auch das Konzept Atem neue performative Qualitäten, die sich zwischen Achtsamkeit und Langeweile, Zeiterfassung und Zeitlosigkeit sowie Disruption und Intention bewegen.
Am dichtesten verwoben scheinen diese Erprobungen zwischen den Dichotomien in den Klanginstallationen Hyeji Nams. Nam intendiert nämlich in ihrer künstlerischen Arbeit nichts Geringeres, als das Leben zu begreifen. Die Gegenwärtigkeit der eingefangenen Momente eröffnet sich zu beeindruckenden tonalen Erlebnissen, die Intimität, Tabus, Schönheit und die Relation des menschlichen Körpers zur Natur behandeln – fast vollständig ohne Worte. Es sind Affekträume, die ohne Pathos auskommen und manchmal sogar unangenehm werden können. Sich dem eigensinnigen, narrationsbefreiten Arbeiten Nams auszusetzen bedeutet, den eigenen Puls und Atem einer neuen Rhythmik anzupassen und sich anderen Bewusstseinsströmen zu öffnen.
Hyeji Nams eindringlicher Sound kann so als eine Intention für die Betrachtung der Arbeit von Lavinia Lanner erfahrbar werden: Die Zeichnung mit 3B-Bleistift auf einer rund fünfzig Meter langen Papierbahn ist wie das Prinzip des Atmens als ganzheitliches Gefüge zu lesen. Lanners abstrakte Formensprache suggeriert Mehrdeutigkeit, die durch die Überschneidung der Blickachsen in der installativen Hängung zunehmend verstärkt wird. Ihre Arbeit greift auf multiplen Wahrnehmungsebenen: Im Großen erhält das fragile Material Papier durch Windungen, Höhe und Dynamik eine eigene Körperlichkeit und transformiert das Medium der Zeichnung zu einer skulpturalinstallativen Geste; Im Kleinen geben die bewusst gesetzten Linien Informationen über ihre eigene Beschaffenheit, Bewegtheit und ihren Charakter preis und sind dabei so individuell wie jeder einzelne Atemzug.
Die überwältigende Flut an Assoziationen in Nams und Lanners Arbeiten multipliziert sich in Anne Glassners performativem Spaziergang. Vom öffentlichen Raum bewegt sich die Künstlerin langsam in den Ausstellungsraum, gestärkt von zwei Begleiter*innen: Ihrem Atem und einer Luftmatratze. Glassner spaziert wörtlich zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung, indem sie sich in achtsamen Schritten den Übergängen ihrer Bewusstseinszustände hingibt. Der fiktive Dialog mit ihrer Matratze ist dabei mit dem Themenfeld des Schlafens verknüpft, das in seiner Durchlässigkeit
auch mit politischen Inhalten – Schlafen als Konsumverweigerung, Schlafen in Sicherheit als Privileg oder der ausbleibende Schlaf helfender, obdachloser, arbeitender oder verletzter Körper – aufgeladen ist. An dieser Schnittstelle zwischen Öffentlichkeit
und Intimität lauschen wir also einer Imitation unseres eigenen Atems im Raum, wiedergegeben in Übersetzung der vermeintlich atmenden Luftmatratze. Es ist das Echo einer Verbindung zwischen uns atmenden Wesen und Zeugnis der schwierigen Übung, Atem- und Lebenskontrolle bewusst gehen zu lassen.
*4. Oktober 2025, im Rahmen der Langen Nacht der Museen